Vorsicht, Blechdeckel kann kippen
Der Chef der Baufirma sagt, er habe es nur gut gemeint. Man wollte den Schrebergärtnern - bisweilen sind das ältere Herrschaften - nicht zumuten, dass sie schwer heben müssen, wenn sie jedes Jahr im Frühjahr und Herbst in den Schacht klettern, um das Wasser ab- oder aufzudrehen.
Deshalb wurden in den Wiener Kleingartenanlagen keine Betondeckel verlegt, die im Übrigen sogar billiger gewesen wären, sondern die Baufirma ließ extra 3000 Blechdeckel anfertigen. Die sind leichter.
Und offenbar gefährlicher.
Am 22. April 1998 ging die 56-jährige Wienerin Gertrude R. mit ihrer dreijährigen Enkeltochter an der Hand den Weg in ihrer Kleingartenanlage am Flötzersteig entlang. Sie stieg mit dem rechten Fuß auf einen Schachtdeckel, der aufkippte, und rutschte mit dem linken Fuß in den Wasserschacht. Die Frau und das Kind stürzten, Oma zog sich einen Knöchelbruch sowie einen Sehnenriss zu und geht seit damals am Stock.
Zunächst fühlte sich niemand zuständig. "Unser Gartenvereinsobmann sagte, jeder sei für den Deckel vor seinem Grundstück verantwortlich", berichtet Frau R.
Dann wurden in die Deckel Löcher gebohrt und Sicherungsstifte angebracht, damit die Deckel nicht verrutschen können. Aber sechs von 24 Deckeln seien ohne Stifte geblieben, sagt Frau R., und meint, den Monteuren der Baufirma seien die Stifte ausgegangen.
Ein Jahr später kam Besuch zur Familie R. Als die Gäste abends wieder heim gingen, stieg Edith P. auf einen (anderen) Schachtdeckel, dieser kippte auf, die Frau rutschte ab und verletzte sich schwer.
Nun klagte Gertrude R., die als Folge ihres seinerzeitigen Sturzes am Meniskus operiert worden war, die Baufirma auf Schmerzensgeld.
Rechtsanwalt Gerhard Deinhofer stand ihr zur Seite.
Auch Edith P. ging zu Gericht und forderte Entschädigung. Im Verfahren argumentierte der Chef der Baufirma damit, ein böswilliger Nachbar, ein Saboteur, müsse die Sicherungsstifte - die man freiwillig angebracht habe, obwohl man gar nicht verpflichtet gewesen wäre - entfernt haben. Aber die Stifte sind nicht die Lösung.
Zwei Gutachten aus den Fachgebieten Bauwesen und Wasserwirtschaft wurden eingeholt, beide Sachverständige kamen zum selben Ergebnis:
Die verwendeten Deckel entsprechen weder dem Stand der Technik noch den Sicherheitsanforderungen der ÖNORM. Ihre mangelnde Sicherheit war kausal für die Unfälle. Und das Einsetzen von Haltestiften ist nicht geeignet, eine dauerhafte Sicherheit zu bieten.
Die Baufirma bot einen Vergleich an. Anwalt Deinhofer erkämpfte für Gertrude R. 10.000 Euro Schmerzensgeld, ihre Bekannte bekam etwas weniger.
Und Schluss?
3000 solcher Schachtdeckel wurden in den Kleingärten verlegt, wo tut sich die nächste Falle auf?
Der Chef der Baufirma sieht keine Gefahr. Die beiden Damen seien halt ungeschickt gewesen, meint er.
Aber die beiden Gutachten, die ÖNORM . . .
"Die ÖNORM ist nur eine Empfehlung, keine Pflicht."
Trotzdem werde man auf den öffentlichen, befahrbaren Wegen die Blechdeckel gegen Betondeckel tauschen. Auf den "Privatwegen" müssten die Stifte, so welche montiert sind, ausreichen.
Quelle: Sonntag, 08.12.2002, (KURIER | Seite 15)